Kurzbericht über die gemeinsame Jahreskonferenz von AK Bildungsgeographie und AK Quartiersforschung
In Freiburg tagten am 27. und 28. März 2014 die Arbeitskreise Quartiersforschung und Bildungsgeographie der Deutschen Gesellschaft für Geographie (DGfG) gemeinsam zum Thema „Bildung – Quartier – Kommune: Perspektiven aus Forschung und Praxis“. Die große Resonanz auf die Veranstaltung zeigte: Hier trafen Themen aufeinander, die aktuell intensiv diskutiert werden, sei es im universitären Bereich, aus der „Soziale Stadt“-Perspektive oder aus der Sicht der Schulplanung und -verwaltung. Dass die Akteure aus Wissenschaft und Praxis je nach Disziplin unterschiedliche Perspektiven beleuchteten, verdeutlichten die auf der Konferenz vorgestellten Beiträge eindrücklich. In der Alltagspraxis dürfte dieser Pluralismus nicht selten zu Missverständnissen führen, so dass hier ein Austausch im AK-Kontext ausgesprochen hilfreich war.
Es existiert – das zeigte die Tagung – eine große Vielfalt an Themen und Interessen, die sich um Bildung in einem räumlichen Kontext gruppieren. Neben spezifischen Fallsituationen oder Good Practice-Projekten auf Stadt- oder Quartiersebene sowie im ländlichen Raum oder im regionalen Maßstab wurden bestimmte Querschnittsthemen aufgegriffen, die den Bildungssektor berühren. Dazu gehörten z.B. Fragen der Segregation insbesondere der Schulsegregation, der Migration bzw. des Migrationshintergrunds, der biographischen Bildungsübergänge als Interventionsfokus, sozialer Ungleichheiten bzw. Chancenungleichheit im Bildungsbereich und der Dynamik des Wohnumfelds – wachsend oder schrumpfend, aufsteigend oder absteigend. Außerdem wurden innovative Community Education-Methoden, Organisationsformen (z.B. Offene Ganztagsschule, Schuleinzugsbereiche) sowie Fragen des Bildungsmanagements und -monitorings (inkl. Messung und Evaluation) diskutiert. Viele dieser Bemühungen – oft bereits erprobt und dokumentiert – sind überaus bemerkenswert und zum Teil echte Erfolgsstorys.
Während der intensiven Diskussionen wurden jedoch erwartungsgemäß auch einige Probleme und Widersprüchlichkeiten deutlich:
- Die Systeme „Bildung“ und „Quartier“ bzw. deren tragende Akteure werden angesichts zunehmender sozialräumlicher Fragmentierung und wachsenden Wettbewerbs vielfach überfordert. So sind weder innerhalb der isolierten Sphäre „Bildungsarbeit“ (Schulen, Bildungsverwaltungen, Soziale Arbeit etc.) noch innerhalb der isolierten Sphäre „Quartiersarbeit“ (Nachbarschaften, Soziale Stadt-Projekte etc.) dauerhaft tragfähige Lösungen wahrscheinlich. Wenn innerhalb eines Quartiersumfelds z.B. mit einem enormen finanziellen und organisatorischen Aufwand einerseits „Bildungslandschaften“ gebaut, andererseits jedoch Gentrification-Prozesse akzeptiert werden, stellt sich die Frage nach der Kohärenz städtischer Politik bzw. Gouvernementalität. Falls es das erklärte Ziel von Stadtpolitik sein soll, mehr Chancengleichheit im Bildungsbereich zu schaffen, sollten anstelle systemimmanenter Strategien verschiedene Politikbereiche integriert betrachtet und aufeinander abgestimmt werden, darunter auch Wohnungsmarktprozesse und eine korrespondierende Wohnungspolitik. Nur durch eine solche Kombination quartiersbezogener Handlungsfelder könnte man auch dem Problem der Schulsegregation begegnen.
- In vielen Debatten geht es um soziale Träger und „Trägerlandschaften“, um administrative Steuerungsmöglichkeiten, Kompetenzen, Zuständigkeiten und Organisationsmodelle. Diese Diskussionen sind zweifellos relevant und unverzichtbar. Gleichzeitig fällt jedoch auf, dass die lebensweltliche Dimension hier meist eine sehr untergeordnete (oder gar keine) Rolle spielt. Idealer Weise müssten aber lebensweltliche und organisatorische Aspekte (im Quartierskontext) aufeinander bezogen werden. Es besteht die Gefahr, dass sich hier unterschiedliche Diskurslinien verselbständigen und damit auch die Akteursnetzwerke in der Praxis auseinanderdriften.
- Ein weiteres grundsätzliches Problem wurde immer wieder erkennbar: Die unterschiedlichen räumlichen Bezugsebenen sind organisatorisch kaum integriert und werden auch oft nicht im Zusammenhang wahrgenommen. So herrscht nicht ohne Grund Uneinigkeit darüber, wie ein Quartier überhaupt abgegrenzt werden soll. Verschiedene Akteure benutzen verschiedene Abgrenzungen. Aber auch für die vertikale Integration der Ebenen (Quartier, Stadt, Region) existieren häufig keine klaren Vorgaben. Dies führt dazu, dass es zwar viele „lokale“ Initiativen im Bildungsbereich gibt, diese jedoch oft nicht gut miteinander vernetzt sind. Komplexe räumliche Überlagerungen und komplizierte institutionelle Anbindungen und Kompetenzzuweisungen lassen mögliche Synergien versickern.
- Die nicht unwesentliche Prädisposition, ob Schule eher als Standortfaktor z.B. für Zu- oder Abwanderung gelten soll, oder als „Ort“, der in vielfältiger Weise funktional und symbolisch im Quartierskontext aufgeladen ist und damit ein integriertes Entwicklungsinstrument darstellt, ist selten klar erkennbar. Die jeweilige Zuordnung ist jedoch ausgesprochen relevant, weil durch sie auch weitere Ziele implizit mitgedacht werden: Soll das Quartier möglichst sozial aufgewertet werden oder eine behutsame, bewohnerbasierte Weiterentwicklung stattfinden? Die Zielvorgaben für die künftige Entwicklung des gesamten Quartiers haben letztlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten einer lokalen Bildungsstrategie (s.o.).
- Mit „Bildung“ und „Quartier“ bzw. „Kommune“ treffen zwei komplexe, vielfältig ineinander verschränkte Systeme aufeinander. Hieraus ergeben sich einerseits große Potenziale, andererseits aber auch konzeptionelle Klärungs- und Differenzierungsbedarfe. Allein die individuell zu Grunde gelegten Quartiers- und Bildungsverständnisse dürften oft (unausgesprochen) voneinander abweichen. Eine weitere, aus dem Zusammentreffen von Quartier/Kommune und Bildung resultierende Begrifflichkeit, die wohl dringend einer Klärung bedarf, ist die der „Bildungslandschaft“. Dieses sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis gerne und häufig benutzte „buzzword“ wird selten definiert und noch weniger hinterfragt. Es wäre zentral und für die Debatte bei weitem nicht nur von akademischem Nutzen, sich stärker damit zu beschäftigen, was „Landschaft“ in diesem Zusammenhang bedeuten kann und soll.
Die anregenden, inter- und transdisziplinären Debatten und die Themenvielfalt machten die Konferenz ebenso zu einem Erfolg wie die Bündelung des Know-hows und der Netzwerke der beiden Arbeitskreise. Nicht zuletzt trugen dazu die perfekte Tagungsorganisation vor Ort an der Universität Freiburg und das inspirierende städtische Umfeld bei.
Tim Freytag und Holger Jahnke (AK Bildungsgeographie)
Matthias Drilling, Oliver Niermann und Olaf Schnur (AK Quartiersforschung)