Bericht zur AK-Tagung 2012 in Düsseldorf

Bericht zur AK-Tagung 2012 in Düsseldorf

„Zwischen Lebenswelt und Rendite – das Quartier als Wohn- und Investitionsstandort“

Am 13. und 14. Dezember 2012 tagte der Arbeitskreis „Quartiersforschung“ der DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie) in Düsseldorf. Im Zentrum der Tagung stand das Quartier als lebensweltliches und investives Umfeld: Während die öffentliche Hand mit Konzepten wie der „Stadtrendite“ argumentiert und das Quartier als Ort von Inklusion und Vernetzung mit einer hohen Integrationskraft auflädt, löst sich die Immobilienwirtschaft zunehmend vom Bestandsdenken. Das „Quartier“ wird hier eher als eine Erweiterung des Wohnraumangebotes betrachtet und insbesondere bei Neuplanungen im hochpreisigen Wohnungssegment aus einer konsum- und lebensstilorientierten Perspektive strategisch emotionalisiert. Neben den BewohnerInnen selbst nutzen auch weitere private Akteure, z.B. als „Raumpioniere“, das Quartier zunehmend als Wohn- und Arbeitsumfeld. Dieses Themenfeld fand großen Anklang und lockte mehr als 50 TeilnehmerInnen aus Wissenschaft, kommunaler Verwaltung, der Wohnungswirtschaft und dem Landesministerium zur Konferenz.

Die Tagung begann mit einem Exkursionsnachmittag, den Uwe Warnecke vom Mieterverein Düsseldorf gemeinsam mit MitarbeiterInnen der Diakonie und dem städtischen Wohnungsamt mit einem Rundgang durch einen privatisierten und öffentlich geförderten Wohnungsbestand in Düsseldorf-Hassels Nord einleitete. Während des Spaziergangs und einer anschließenden Diskussionsrunde wurde die Entwicklung der Siedlung seit dem Verkauf an einen Finanzinvestor skizziert, dessen Geschäftsmodell auf der Basis einer überzogenen Renditeerwartung zu baulichen und sozialen Problemen im Quartier geführt hat. In einem zweiten Teil führte uns Rainer Götzen von der Firma Interboden in die neu gebauten, eher hochpreisigen Quartiere „Le Flair“ und „Les Halles“ in Düsseldorf-Pempelfort, die einen klaren Kontrast zum vernachlässigten Hassels-Nord bilden. Auf der Fläche eines alten Güterbahnhofs hat das Unternehmen in Zusammenarbeit in mehreren Bauabschnitten ein neues Quartier geplant und umgesetzt, in welchem ein „ganzheitlicher“, an den „Lebenswelten“ der Nachfrager orientierter Ansatz verfolgt wird.

Diese divergenten Aspekte wurden durch die Konferenzbeiträge thematisiert und erweitert. Die Tagung, die mit Hilfe großzügiger Unterstützung der NRW.BANK in deren Räumlichkeiten stattfinden konnte, war in vier thematische Blöcke gegliedert: Block 1 diente dazu, zunächst die Rahmenbedingungen zu klären und aktuelle Wohnungsmarkttrends zu erläutern. Während sich der für die Tagung umfangreichste Block 2 mit den verschiedenen Handlungslogiken von Wohnungseigentümern im Quartier beschäftigte, wurde in Block 3 genauer die spezielle Akteursgruppe der Raumpioniere unter die Lupe genommen. Block 4 umriss schließlich die Bedeutung des Quartiers als Kontext für die Neubau- und Bestandsentwicklung.

In einem einführenden Beitrag entwickelte Olaf Schnur (Tübingen) im Namen der Organisatoren (Matthias Drilling, Basel und Oliver Niermann, Düsseldorf) zunächst grundsätzliche Spannungsfelder, die sich durch die wissenschaftliche, immobilienwirtschaftliche und kommunale Perspektive auf die Fragen der Quartiersforschung ergeben. Interessant wird die Rolle der Immobilienwirtschaft dort, wo sie aktiv an Quartierskonzepten arbeitet. Hier stellt sich etwa die Frage, ob eher lebensweltliche und möglicherweise gemeinwohlorientierte oder zweckrationale Handlungslogiken dominieren und welche Rolle die öffentliche Verwaltung als Vertreterin einer zumindest theoretisch nachhaltigen Planung dabei spielt. Einen Überblick über reale Wohnungsmarktprozesse lieferte daraufhin Melanie Kloth (Düsseldorf) aus der Sicht des Landesförderinstitutes NRW.BANK, dessen Aktivitäten in der Wohnungsmarktbeobachtung und Kommunalberatung sich bis auf die Ebene des Quartiers erstrecken.

Oliver Niermann (Düsseldorf) thematisierte als Auftakt zum zweiten inhaltlichen Block in Fortführung zur Exkursion am Vorabend die Problematik der Privatisierung ehemals (teil-)öffentlicher Wohnungsbestände an Private Equity-Fonds und vergleichbare Investoren, deren oftmals stark renditeorientierte Geschäftsmodelle besonders in den ehemaligen Werkswohnungsbeständen Spuren hinterlassen haben. Kristin Klaudia Kaufmann (Dresden) skizzierte dagegen die Handlungslogiken lokaler Wohnungsmarktakteure nach dem Verkauf kommunaler Wohnungsbestände. So war mit dem Verkauf der Unternehmen zu Höchstpreisen neben einer Konsolidierung städtischer Haushalte oft die Hoffnung auf eine Verbesserung der Bestandsqualitäten durch die Neueigentümer und eine größere Handlungsfähigkeit verbunden – jedoch haben sich die Bestandsqualitäten und die Zusammenarbeit mit der Kommune oft anders entwickelt als geplant. Aus der Sicht der BewohnerInnen schilderte Klaus-Martin Ellerbrock (Köln) die Situation in privatisierten Wohnungsbeständen sowie die Initiative der Gemeinwesensarbeit im Stadtteil Köln-Chorweiler und bekräftigte damit auch nochmal die Eindrücke der vorausgegangenen Exkursion in Düsseldorf-Hassels Nord. Aus der Sicht eines kommunalen Wohnungsunternehmens berichtete Dieter Kraemer (Bochum) vom Perspektivenwechsel wohnungswirtschaftlicher Akteure weg von einer reinen Bestandsstrategie hin zu einem Quartiersdenken sowie dem Rahmen, in welchem Wohnungsunternehmen quartiersplanerisch tätig werden können. Iris Fryczewski (Bonn) referierte zu Erfahrungen bei der Einbindung von privaten Wohnungseigentümern, z. B. im Rahmen des NRW-Programmes „Innovationen durch Einzeleigentümer – IdEE“ und „Kooperation im Quartier – KiQ“, welche sie als Auftragnehmerin mit dem Institut empirica begleitet hat. Ulli Meisel (Aachen) wies in seinem Vortrag auf einen Paradigmenwechsel von der erhaltenden Erneuerung zum Abriss von Wohnquartieren und den dabei genutzten Entscheidungsmodi hin. So werden durch die betroffenen Akteure teilweise aufwendige und differenzierte Abwägungsprozesse unter Einbezug verschiedener Szenarien durchgeführt. Das ILS untersucht dabei den diskursiven Verlauf dieser Prozesse. Abschließend in diesem Themenblock skizzierte Nicola Thomas (Basel) die Fallstudie Zürich-Europaallee, die im Rahmen eines Forschungsprojektes im Auftrag des Schweizerischen Nationalfonds unternommen wird. Sie verdeutlichte, wie der Bodenwert durch die Bebauung der Büro- und Bildungskomplexe zum zentralen Verhandlungsthema zwischen den Anspruchsgruppen aufstieg. Daraus sich ergebende Konfliktlinien zogen sich insbesondere entlang der Interpretation des “Wertes”.

Petra Jähnke (Erkner) eröffnete den dritten Teil mit Ausführungen zu einem Forschungsprojekt „Raumpioniere im Stadtquartier“. Insbesondere wurden verschiedene Typologien von Raumpionieren als „zivilgesellschaftliche“ Quartiersentwickler sowie ihren Handlungslogiken und Betätigungsfeldern zur Diskussion gestellt. Matthias Wendt (Bayreuth) fokussierte das Thema der Raumpioniere dagegen auf die Rolle von Hausprojekten sowie ihre qualitativen Effekte auf die Entwicklung vormalig benachteiligter Quartiere und betonte dabei den in seinen Fallbeispielen gemeinschaftlichen bzw. antispekulatorischen Anspruch.

Im abschließenden Themenblock referierte Philipp Zakrzewski (Stuttgart) zu einem Forschungsprojekt über nachhaltige Entwicklungsstrategien für Einfamilienhäuser der 1950er bis 1970er Jahre und der Notwendigkeit lokale Strategien für die energetisch und bausubstantiell oft veralteten Häuser zu entwickeln, die oft durch demographische Effekte und Veränderungen der Lebensstile einen Nachfragerückgang zu verzeichnen haben. Jan Hogen (Kaiserslautern) schilderte die Chancen und Schwierigkeiten bei der Zertifizierung von Quartieren als Instrument zum Abbau von Informationsasymmetrien und ging insbesondere auf das Problem der objektiven Formulierung von Qualitätskriterien und deren Messbarkeit ein. Abschließend stellte Raimund Kemper (Rapperswill) ein neues Modell zur Wohnumfeld- und Quartiersplanung in der Schweiz vor, welches auf Grund des eingeschränkten Planungsinstrumentariums in der Schweiz auch verstärkt auf Anreize, Information und Sensibilisierung der Immobilieneigentümern setzt.

Dem erklärten Ziel des Arbeitskreises, den offenen, transdisziplinären Dialog zwischen Wissenschaft(en) und der Praxis zu fördern, ja herauszufordern, kamen wir auch in diesem Jahr wieder sehr nahe, wie uns das positive Tagungsfeedback zeigte. Dies ist vor allem ein Verdienst der engagierten Vortragenden und des versammelten Plenums, das eine große Diskussionsbereitschaft zeigte. Wie im letzten Jahr planen wir auch für diese Tagung wieder die Publikation eines thematischen Sammelbandes mit Beiträgen der ReferentInnen in der Reihe „Quartiersforschung“ im Springer VS Verlag.

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