SeminarBlog vom 29.03.10

Bei den “Stadtteilmüttern” in Berlin-Neukölln

Eher theoretisch haben wir uns im Seminar mit Fragen zur Integration auf Quartiersebene beschäftigt: Welche unterschiedlichen Forschungsperspektiven gibt es zur Integration, welche divergierenden öffentlich-politischen Ansichten? Ist Integration ein Recht auf Teilhabe oder eine Pflicht sich unterzuordnen? In was sollen die Menschen integriert werden bzw. sich integrieren? Was ist die Mehrheitsgesellschaft, was die “Leitkultur”? Was heißt Integration vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Ausschlusses? Und vor allem: Welche Strategien gibt es auf der Quartiersebene, die unterschiedlichen Integrationsperspektiven umzusetzen?

Diese Fragen wollten wir in einem Ortstermin mit Frauen aus dem Neuköllner Körnerparkviertel anhand eines konkreten Beispiels (an-)diskutieren. Sie arbeiten dort als Stadtteilmütter. In diesem Projekt werden Frauen mit Migrationshintergrund zu Familienhelferinnen ausgebildet, die mit anderen Müttern aus den ethnischen Communities Kontakt aufnehmen und diese beraten – sozusagen eine ethnisierte aufsuchende Familienhilfe mit einem klaren Quartiersbezug.

Damit arbeiten diese Frauen in einem Feld, das immer wieder ins Zentrum der Integrationsdebatte gerät: Migrantische Familien und ethnische Communities. Es geht um Frauen mit Migrationshintergrund, Gesundheit, Gewalt- und Drogenprävention sowie um Schule und Bildung. Diese Themen sollen hier auf Stadtteilebene, sozusagen „aus der Community heraus“ durch die Stadtteilmütter bearbeitet werden.
Vor Ort im Körnerpark-Quartier trafen wir vier Mitarbeiterinnen des Stadtteilmütter-Projektes, die über ihre Arbeit, das Projekt und das Körnerpark-Quartier berichteten. In drei Runden diskutierten wir an Gesprächstischen über Leitfragen, die wir aus den Diskussionen im Seminar mitgebracht hatten.

Mit der ersten Frage „Was heißt eigentlich Integration?“ sollte darüber gesprochen werden, was gegenüber dem akademischen Umfeld in einem durch MigrantInnen geprägten Quartier als Integration verstanden wird. Gerade weil Integrationsdebatten oft von Nicht-MigrantInnen wie uns geführt werden, eine wichtige Frage, die schwer zu beantworten ist. Sprachkompetenzen, Respekt, Zusammenleben und Verständnis wurden hier genannt. Aber auch, dass „die Deutschen integriert werden“ sollen (Zitat aus einem Gespräch). Aus Sicht der Migrantinnen liegen die Probleme aber nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Kulturen. So wurde berichtet, dass die Ehemänner aus der eigenen Kultur selten ein offenes Ohr für die Arbeit der Stadtmütter haben.

Danach sprachen wird über das Thema „Welche Orte der Integration gibt es im Stadtteil?“. Wo findet Integration auf Stadtteilebene statt, wie funktionieren diese Orte? Im Vordergrund standen in den Gesprächen die Gemeinbedarfseinrichtungen, Schulen, Kindergärten, Spielplätze, Nachbarschaftseinrichtungen. Eben dort wo „mehrere Kulturen zusammenkommen“ (Zitat aus den Gesprächen).
Mit der dritten Frage „Was sind die drängendsten Probleme im Körnerpark-Kiez?“ näherten wir uns den Schwierigkeiten im Quartier. Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung der „Problemkiez“-Probleme zwischen uns Außenstehenden und den BewohnerInnen? Haben diese Probleme mit Integration zu tun? In den Diskussionen wurde das Neukölln-Image als übertrieben zurückgewiesen, jedoch auch über mangelndes Vertrauen, Konflikte und Gewalt, Arbeitslosigkeit und Dreck geklagt.

Abschließend diskutierten wir mit der Frage „Welches Integrationsprojekt würde ich mit viel Geld starten?“ über neue Ansätze von Integrationsarbeit. Bemängelt wurde dabei, dass die Stadtteilmütter wegen der Förderprogrammausrichtung nur mit migrantischen Müttern arbeiten dürfen. Dabei wäre es spannend auch deutsche Mütter mit einzubeziehen. Den Rahmen der eigenen Arbeit auf diese Weise zu erweitern wäre reizvoll. Neue Perspektiven von einem sozialen und aufgeschlossenen Miteinander wären die erhoffte Folge.
Neben diesen Debatten erzählten die Stadtteilmütter über ihre Arbeit: Wie sie Kontakt zu Müttern im Quartier aufbauen, wie sie Inhalte wie Grenzsetzungen in der Erziehung oder Ernährung vermitteln oder wie sie als „Kiezkunde“ Plätze und Einrichtungen im Quartier zeigen und damit den Aktionsradius der beratenen Frauen erweitern. Einfach stellt sich keiner der Anwesenden diese Arbeit vor. Hilfe in dieser Form anzubieten ist beispielhaft. Andere Mütter ausfindig zu machen stellt nur einen kleinen Teil der Vorarbeit dar. Die Familien davon zu überzeugen sich helfen zu lassen wird hierbei zum zentralen Punkt. Verschiedene Verfahrensweisen wurden uns von den Stadtteilmüttern erläutert.

Der Austausch zwischen dem Seminar von Studierenden und den Personen vor Ort zeigte noch einen weiteren spannenden Aspekt. Es wurde klar, dass die Debatten im Elfenbeinturm der Universität eine ganz andere Sprache haben als viele vor Ort lebende Menschen. In den Diskussionen mit den Stadtmüttern vor Ort zeigten sich einige Verständigungsprobleme: Wir operieren mit abstrakten Konzepten und Begriffen, die in der “Integrationspraxis” kein Rolle spielen. Der Versuch, komplexe Konzepte auf die “grassroots” herunterzubrechen, ist oft schwierig. Umgekehrt stellt sich aus der lebensweltlichen Perspektive zurecht auch die Frage nach dem Sinn von Modellen und Theorien. Wie reagierten wir und die Stadtteilmütter darauf? Mit viel Humor und Geduld. Zuhören sind die Stadtteilmütter gewohnt. Respekt wird großgeschrieben. Um sich also zwischen Universität und QuartierseinwohnerInnen gegenseitig zu verstehen, braucht es “Übersetzungen” (von der Wissenschaft in die Lebenswelten) und Zeit. Vielleicht wäre auch in dieser Hinsicht mehr Integration sinnvoll.

Weitere Informationen:
Homepage und Projektbeschreibung des Projekts Stadtteilmütter Neukölln:
http://www.stadtteilmuetter.de/
http://www.sozialestadt.de/praxisdatenbank/suche/ausgabe.php?id=521

Zum QM-Gebiet Körnerpark:
http://www.qm-koernerpark.de/

Autor*innen: JF, BU und TR