SeminarBlog vom 10.02.10
Plattenbauquartier in Ostberlin – Seniorenwohnen XXL?
Der demographische Wandel ist u.a. gekennzeichnet durch eine natürliche Schrumpfung der Bevölkerungszahl bei einer gleichzeitig relativ starken Alterung. In Hinblick auf diesen dynamischen Prozess haben wir das Sewanviertel, auch Hans-Loch-Viertel genannt, im Stadtteil Friedrichsfelde Süd (Bezirk Lichtenberg) besucht. Das Quartier wurde auf dem Gelände einer früheren Kleingartenkolonie zwischen 1961 und 1966 erbaut. Es umfasst 80 ha mit 5.000 Wohneinheiten und 15.000 Einwohnern. Die darin befindliche Splanemann-Siedlung gilt als die erste deutsche Plattenbausiedlung. Diese kleinere, von 1926-1930 entstandene Siedlung steht heute unter Denkmalschutz. Das Sewanviertel ist jedoch hauptsächlich durch vier- bis achtgeschossige Zeilenbauten und drei siebzehngeschossige Punkthochhäuser gekennzeichnet. Das Quartier weist einen hohen Grünanteil auf und verfügt über eine gute soziale und technische Infrastruktur. Zudem ist kaum Wohnungsleerstand zu verzeichnen. Eine Besonderheit des Gebietes ist, dass viele Erstbewohner, vorwiegend ehemalige „privilegierte“ DDR-Bürger seit den 1960er Jahren bis heute im Quartier wohnen. Die Bevölkerung ist dadurch geprägt, dass über 50 % der Einwohner über 55 Jahre alt sind. Dieser hohe Anteil an der älteren Bevölkerung hat u.a. bereits zu infrastrukturellen Anpassungen geführt. Um 1980 gab es acht Schulen im Viertel, heute nur noch vier, davon drei Grundschulen und eine Sekundarschule. Des Weiteren gab es um 1980 sechzehn Kitas, wovon heute noch fünf übrig sind. In den letzten Jahren ist jedoch ein geringer Zuzug von jungen Familien mit niedrigen bis mittleren Einkommen zu beobachten (Gründe: niedrige Mieten, Nähe zur Universität). Trotz der vier Einkaufszentren im Gebiet fehlen vor allem den Älteren Cafés für Nachmittagstreffpunkte und den Jüngeren Bars/Kneipen im Umfeld. Wichtig anzumerken ist, dass es sich in diesem Plattenbaugebiet um keinen sozialen Brennpunkt handelt, sondern um ein konfliktarmes und gediegenes Wohnquartier.
Während unseres Vor-Ort-Termins haben wir eine Wohnung besichtigt, die einerseits als Musterwohnung für barrierefreies Wohnen und andererseits als Nachbarschaftstreff für ältere Bewohner dient. Hierbei wurden uns bauliche Veränderungen sowie technische Erleichterungen im Alltag vorgeführt, wie z.B. Verbreitung der Türrahmen, Klingel mit Lichtsignal oder Alarmknopf für den Notfall etc. In unmittelbarer Nähe zur Musterwohnung befindet sich zudem ein Spielplatz, auf dem Maßnahmen ergriffen wurden, um Jung und Alt zusammen zu bringen. So genannte „Play-Fit-Geräte“ für die sportliche Aktivierung der älteren Menschen stehen neben dem Kinderspielplatz, um einen Generationen übergreifenden Austausch/Kommunikation zu fördern. Am Ende unserer zweistündigen Exkursion hatten wir die Gelegenheit, mit Vertretern des Vereins „Miteinander Wohnen“ zu diskutieren. Der im September 1991 gegründete Quartiers-Verein umfasst derzeit 360 Mitglieder und befasst sich mit Maßnahmen und Projekten für Senioren und den intergenerationalen Austausch. Neben sozialen Treffpunkten für Senioren mit Café und Kiezgarten bieten sie auch Betreuung, Minibus-Fahrten, mobilen Fahrdienst, Wasch-, Trödel- und Nähstube sowie kleine Reparaturen an. Durch Kooperationen mit anderen Vereinen ist es möglich, Familien und Senioren zusammenzubringen (z.B. mittels sog. „Kinderpatenschaften“, welche u.a. das Abholen von der Schule und die Hausaufgabenbetreuung von Kindern durch Senioren beinhaltet).
Im Verlauf der angeregten Diskussion wurde deutlich, dass die Infrastruktur im Sewanviertel hauptsächlich auf die „ältere Generation“ ausgerichtet ist. Auf die Frage, wer von uns Studierenden sich vorstellen könne, ins Sewanviertel zu ziehen (bislang wohnt niemand aus unserer Seminargruppe in diesem Quartier), gab es geteilte Meinungen. Negativ werden vor allem die Anonymität in Plattenbauten angesehen sowie das Fehlen von Freizeitmöglichkeiten (z.B. Kino, Cafe, Club). Es gibt jedoch auch Studierende, die sich durchaus vorstellen könnten hier zu wohnen (Gründe: Druchgrünung, Ruhe).
Fazit: Es fehlt eindeutig an Angeboten für Jugendliche, Studenten und die Alterskohorte von 25-45 Jahren. Dabei sollten doch vor allem die vorgenannten Personengruppen als Zielgruppen für die zukünftige Entwicklung des Viertels in Betracht gezogen werden. Maßnahmen seien im Bezirksamt wohl in Planung, jedoch ist das dem Vernehmen nach bislang noch ein recht mühsamer Prozess. Die Frage drängt sich auf, ob die homogene bestehende Sozialstruktur trotz vereinzelter Vereinsaktivitäten nicht auch einen exkludierenden Charakter aufweist und sich damit – im Sinne des “Etablierte-Außenseiter”-Problems – einer Öffnung in Richtung neuer Nachfragegruppen entzieht. Damit läge ein Schlüssel für die Zukunft des Quartiers nicht in erster Linie in baulichen Maßnahmen, sondern in der Entwicklung intergenerationalen Sozialkapitals.
Autor*innen: FM, DH und DF