SeminarBlog vom 07.12.09

Großsiedlungen – vor Ort in der Gropiusstadt

Großsiedlung „West“

Die Gropiusstadt ist ein klassisches Beispiel für die in den 1960er und 1970er Jahren deutschland- und europaweit auftauchenden Großsiedlungen. Durch das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956 wurde die Grundlage für die Objektförderung im sozialen Wohnungsbau gelegt. Aufgrund der demographischen Entwicklung und der Kriegsfolgen fehlte noch immer ausreichend Wohnraum, deswegen sollten städtebauliche Großprojekte im Viertelsmaßstab für genügend Wohnraum sorgen. In dieser Zeit wurden in Westdeutschland 95 Großsiedlungen mit jeweils mehr als 2.500 Wohnungen gebaut. Im Stile der damaligen architektonischen und planerischen Idealvorstellungen der Charta von Athen, der gegliederten und aufgelockerten Stadt und des Leitbilds “Urbanität durch Dichte” erhlielten die Quartiere ihr typisches äußeres Erscheinungsbild mit großen Apartmentblöcken und ausgedehnten Grünflächen zwischen den Häusern. Licht, Luft und Sonne für Jedermann sollte geschaffen werden. Die Wohnfunktion war entscheidend, jedoch wurden – je nach Größe der Siedlung – einzelne Versorgungszentren integriert. Alle Großsiedlungen vereint, dass sie jeweils eine einheitliche städtebauliche Konzeption als Grundlage haben und somit ganze, städtebaulich gut abgrenzbare Quartiere bilden. Gebaut wurden sie meist am Stadtrand teilweise im Rahmen einer Flächensanierung auch im innerstädtischen Bereich.

Die Ideale von damals haben sich schnell überholt. Nach einer oft wechselvollen, mit Umzugs-, Zu- und Abwanderungswellen sowie umfangreichen Umgestaltungen und Modernisierungen verbundenen Geschichte werden die Großsiedlungen in den Großstädten Westdeutschlands in der Öffentlichkeit auch heute noch als „Problemquartiere“ stigmatisiert und für ihre städtebauliche Großform kritisiert. Diese manchmal übersteigerte Kritik basiert jedoch auch auf realen Beobachtungen: Die Wohnpräferenzen vieler Menschen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert, aufwendige Modernisierungsaufgaben und drohende Leerstände gehören in vielen Quartieren dieses Typs zu den akuten wohnungswirtschaftlichen Herausforderungen und soziale Probleme manifestieren sich vielfach im Quartiersalltag.

Die Gropiusstadt

Die Gropiusstadt im Süden Neuköllns an der Grenze zu Brandenburg ist mit 18.600 Wohnungen die zweitgrößte Großsiedlung Westdeutschlands. Ursprünglich von Walter Gropius geplant, wurde sie aufgrund der veränderten politischen Lage nach der Teilung Deutschlands vom Berliner Senat erheblich angepasst. Die Insellage machte neuen Boden für Wohnraum knapp, so sah der Senat sich gezwungen, die Entwürfe nachträglich zu verdichten, um genügend Wohnraum zur Verfügung gestellt zu bekommen. Walter Gropius distanzierte sich von den Entwürfen, doch sah die Berliner Senatsverwaltung keine andere Möglichkeit. Das Ergebnis ist die heutige Gropiusstadt. Sie zieht sich über vier U-Bahnstationen hin und besitzt drei kleinere Versorgungszentren sowie ein großes Versorgungszentrum, die Gropiusstadt Arcaden, die Berlin-weit frequentiert werden.

Stellte die Gropiusstadt in den ersten Jahren noch ein attraktives Quartier dar, das Lebensqualität bot, die es in der Innenstadt oft nicht gab, entwickelte es sich ab Ende der 1970er Jahre zum Problemgebiet. Mangelnde Aufenthaltsqualität und Freizeitangebote sowie bei Nacht viele dunkle unbeleuchtete Wege und Ecken beeinträchtigten das Wohnumfeld. Soziale Einrichtungen waren vorhanden, jedoch entwickelte sich in dem Quartier mit dem hohen Sozialbauwohnungsanteil von 90 % kaum ein Sozialgefüge. Nicht zuletzt durch die hohe Wohn dichte entstanden Nachbarschaftsproblemen und ein Verlust des Kiez-Gefühls. Die Mieterfluktuation stieg ebenso wie die Leerstandsquote. 1986 wurden mit großen Investitionen Wohnumfeldverbesserungen vorgenommen. Das öffentliche Grün wurde entsprechend Gropius’ ursprünglichen Vorstellungen aufgewertet, Plätze umgestaltet und man versuchte mit gezielten Maßnahmen, wie einem Jugendclub, zusätzliche Angebote für die Bewohner zu schaffen. Die Wende 1989 brachte weitere Veränderungen für die Gropiusstadt mit sich. Die Berliner Städtebauförderung wurde nicht mehr vom Bund bezuschusst und das Brandenburger Umland konnte als neuer Wohnort im Grünen genutzt werden und die Wohnungsnachfrage sank. Der Migrantenanteil stieg an. Seit 2001 wurden der Wohnberehtigungsschein und die Fehlbelegungsabgabe abgeschafft und die Gropiusstadt wurde wieder konkurrenzfähiger. Die Leerstandsquote liegt nach Angaben der Wohnungsbaugesellschaften heute im einstelligen Bereich. 2006 wurde ein Teil der Gropiusstadt als Quartiersmanagementgebiet festgelegt.

Quartiersmanagementgebiet Lipschitzallee/Gropiusstadt

Während unserer Kurzexkursion führten wir ein Gespräch mit dem ansässigen Quartiersmanagement-(QM)-Team, das uns u.a. das Handlungskonzept erläuterte. Die Schwerpunkte sind:

  • Nachbarschaftliches Miteinander und der Dialog zwischen den Kulturen und Generationen sollen gefördert werden.
  • Verbesserung von Bildung und sozialer Kompetenz von Kindern und Jugendlichen für mehr Chancen auf Ausbildung und Arbeitsplätze.
  • Soziale Angebote, Familien- und Erziehungsberatung.
  • Ordnung, Sauberkeit und Sicherheit im Quartier.
  • Information und Beteiligung der Institutionen und der Bewohner an der Quartiersentwicklung

Besonders das Nebeneinanderher-Leben der einzelnen Gruppen und die mangelnde Kommunikation untereinander halten die Quartiersmanager für problematisch. So gibt es Projekte, einzelne ethnische Gruppierungen einander näher zu bringen, Kommunikation zu fördern und ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Dies soll dann im Umkehrschluss dafür sorgen, dass die Probleme im Kiez reduziert werden und die Attraktivität der Gropiusstadt als Wohnort gesteigert wird. Als größeres Problem erscheint aber die Arbeitslosigkeit im Quartier, die zwar im Berliner Durchschnitt nicht hervorsticht, jedoch soziale Spannungen im Quartier begünstigt. Besonders häufig sind prekäre, schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse und daraus resultierende Armut (“working poor”). Das Quartiersmanagement sieht sich hier jedoch nur in der Lage, Präventionsarbeit bei den Kindern und Jugendlichen fördern, um diese später von Arbeitslosigkeit zu bewahren. Baumaßnahmen und Gewerbeansiedlungen liegen nicht in der Kompetenz eines QM-Gebietes zur Prävention. Das QM-Team betonte die Schwierigkeiten, breite Bewohnerschichten zu erreichen und zur Partizipation zu bringen. Es zeigt sich auch, dass das architektonische Bild und die landschaftliche Gestaltung wohl eine entscheidende Rolle bei der Bewertung des Quartiers spielen. Die großen Wohnungsunternehmen, die das Gros der Wohnungen besitzen, versuchen deshalb als “starke Partner” des QM in Eigeninitiative durch Sanierung und Modernisierung sowie Umgestaltungs- und Umbaumaßnahmen selbst in den Prozess einzugreifen und ihre Wohnbestände attraktiver zu machen.

Im Hinblick auf das QM-Konzept einerseits und auf die in einer Großsiedlung besonders wichtige städtebaulich-architektonische Komponente andererseits stellt sich die Frage, inwiefern ein Quartiersmanagement in einem Großsiedlungs-Quartier wie der Gropiusstadt effektiv arbeiten kann, wenn städtebauliche Maßnahmen außerhalb seines Kompetenzbereiches liegen? Außerdem stellt sich die Frage, mit welchem Mitteln die Partizipation der Bewohnerschaft (und hier insbesondere die Mitwirkung migrantischer Gruppen) an QM-Projekten erhöht werden könnte.

Autor*innen: HP, TS, JS und JT