SeminarBlog vom 21.01.10
“Culture is no longer a frill. It is [economic] fuel. Welcome to the creative age“
Auf dem Weg in die so genannte Wissensgesellschaft gewinnt die Ressource Kreativität immer mehr an Bedeutung. Aber was versteht man unter Kreativität? Eine Umfrage im Seminar ergab, dass die meisten Teilnehmer unter Kreativität einen Prozess verstehen, der ein kreatives Output erzeugt, wie etwa Musizieren oder Zeichnen. Nur ein kleiner Teil ging auf die ursprüngliche lateinische Bedeutung des Begriffs creatio = Schöpfung ein. Kreativität bedeutet also, im eigentlichen Sinne, die Erschaffung von neuem Wissen, neuen Ideen und Innovationen. Genau hier setzt die Theorie der Kreativen Klasse von Richard Florida an. In seinem 2002 publizierten Buch „The Rise of the Creative Class“ definiert Florida Kreativität als die Möglichkeit, neue Ideen zu entwickeln und neue Wege zu wählen, die zur Anhebung der Produktivität und des Lebensstandards führen. Kreativität stellt damit die ultimative Ressource zur ökonomischen Entwicklung einer Region dar.
Ausgangspunkt der Argumentation von Richard Florida sind die Arbeits- und Wohnortent-scheidungen kreativer Menschen. Er argumentiert, dass Städte, die Bohemians, ethnische Minderheiten und Homosexuelle anziehen, die die treibenden Motoren der Stadtentwicklung wären, da sie die kreativen Arbeiter, die so genannte Kreative Klasse, selbst verkörpern und/oder anlocken würden. Dabei unterteilt er die Kreative Klasse in zwei Unterklassen: Die Creative Professionals sind Menschen, die ihr erlerntes Wissen auf eine kreative Art und Weise anwenden. Dem gegenüber steht der Supercreative Core, die eigentlich Kreativen. Denn sie Erfinden, Patentieren und schaffen Innovationen wie etwa Musiker, Schriftsteller oder Wissenschaftler. In Floridas Konzept sind z.B. Popbands, die in den Charts vertreten sind, die Akteure, die einer Region indirekt zu nachhaltigem Wohlstand verhelfen können.
Aber warum konzentrieren sich Kreative in bestimmten Städten?
Durch Untersuchungen und statistischen Auswertungen Floridas ergab sich, dass eine erfolgreiche Stadt vor allem durch drei Eigenschaften gekennzeichnet ist:
- Technologie,
- Talent,
- Toleranz,
die so genannten „drei Ts“. Allerdings liefert Florida damit keine Erklärung, warum eine Stadt erfolgreich ist, wenn sie diese „drei Ts“ besitzt. Er liefert lediglich eine statistische Korrelation, die aber nicht unbedingt einen kausalen Zusammenhang darstellt. Daher wird seine Methodik, die Einführung von verschiedenen Indizes und zahlreichen Statistiken, stark kritisiert.
Hinzukommend beachtet Florida nicht, dass die besondere Attraktivität der Städte nicht durch eine Regierung injiziert werden kann, sondern viel mehr eine spontane Entwicklung ist, wie man etwa am Beispiel der Kastanienallee in Berlin sehen kann. Sein Buch „The Rise of the Creative Class“ erscheint lediglich als Anleitung oder Rezept zur Aufwertung von Quartieren, welche nicht selten schematisch übernommen wird.
Es stellt sich die Frage, ob Richard Floridas Theorie nicht vor allem einer neuen normativen Elite zum Aufstieg verhilft.
Kreativwirtschaft am Beispiel Berlin
Die Kreativwirtschaft ist heutzutage ein wichtiger Bestandteil der politischen Ebene und steht im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft, Stadtentwicklung und Bildung. Für Deutschland definiert sich die Kreativwirtschaft als Branche, welche größtenteils erwerbswirtschaftlich organisiert ist und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kreativen Gütern und Dienstleistungen befasst. Kreative Akteure identifizieren Probleme und entwickeln dafür neue Lösungen oder verknüpfen bereits vorhandenes Wissen miteinander. Der Großteil der Akteure ist selbstständig und kann somit schnell und flexibel auf Veränderungen von kulturellen Trends auf dem Markt reagieren. Die Kreativen siedeln sich in noch unentdeckten Räumen an, wandeln dort Freiflächen um und erreichen eine Aufwertung des Gebietes. Somit wirken sie auf andere Investoren und Unternehmen als Inkubatoren. Da die Mehrheit der Akteure Selbstständige oder Kleinstunternehmen sind, ist der wichtigste Standortfaktor der Mietpreis. Ein weiterer wichtiger Standortfaktor ist das Flair des Quartieres, da Kreative besonders viel Wert auf ein passendes kulturelles Umfeld legen. Berlin gilt (besonders seit der Ernennung zur UNESCO-Stadt des Designs) als eines der wichtigsten Kulturzentren Europas. Dies vor allem aus folgenden Gründen: geringe Mietpreise, großes kulturelles Erbe, Vielzahl an kulturellen Einrichtungen und eine hohe Anzahl von Hochschulen und Ausbildungseinrichtungen. Besonders innerhalb des S-Bahn-Ringes existiert eine Vielzahl an kreativen Unternehmen. Im Jahre 2006 erwirtschafteten in Berlin 22.900 Unternehmen einen Umsatz von 17,5 Mrd. € (siehe den 2. Berliner Kulturwirtschaftsbericht 2008). Die Ansiedlung von kreativen Unternehmen kann sich vielseitig auf ein Quartier auswirken, positiv wie auch negativ. Seitens der Politik wird die Kreativwirtschaft oft als Lösungsweg für Problemquartiere gesehen, jedoch sollte die Branche nicht als ein steuerbares Element der Stadtplanung gesehen werden, da sie eine starke Eigendynamik aufweist und demnach schwer steuerbar ist. Um die Chancen und Probleme der Kreativwirtschaft zu verdeutlichen, werden im Folgenden zwei „kreative Quartiere“ vorgestellt.
Beispiele für kreative Quartiere: “Dortmunder U” und Berlin-Kastanienallee
Vielerorts greift die Politik die Ideen Richard Floridas auf und bemüht sich um eine Umsetzung in der Stadtentwicklung. Kultur- und Kreativwirtschaft werden vielfach konkret gefördert, in der Hoffnung, dass diese als Motor für Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum fungieren. Teilweise verspricht man sich dabei sogar die Lösung sozialer Probleme.
Beispiel für ein in diesem Rahmen institutionell geschaffenes Kreativquartier ist das so genannte „Dortmunder U“. Hierbei handelt es sich um die Fläche der ehemaligen Union-Brauerei am westlichen Rand der Dortmunder Innenstadt. Im Mittelpunkt des rund 80.000 m² großen Areals befindet sich der ehemalige Kühlturm der Brauerei, der als Industriedenkmal geschützte U-Turm. Dieser wird gegenwärtig für ca. 46 Millionen Euro zu einem neuen Zentrum für Kunst und Kreativität und zum neuen Standort des Museums am Ostwall. Weiterhin soll er künftig das European Centre for Creative Economy (ECCE) sowie Institute und Forschungsbereiche der Technischen Universität Dortmund bzw. der Fachhochschule Dortmund beherbergen. Neben dem U-Turm entstand bereits ein neues Bürogebäude und auch für den Rest des Geländes ist eine Umgestaltung vorgesehen. Das gesamte Vorhaben wird im Rahmen des Förderungsprojektes „Kreativ.Quartiere“ realisiert, welches anlässlich der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 ins Leben gerufen wurde. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren mit dem Ziel, den Zuzug von Kreativen aus ganz Europa zu fördern, verbunden mit der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen und ob das „Dortmunder U“ tatsächlich als Motor für die Entwicklung der westlichen Innenstadt aktiv wird, bleibt abzuwarten.
Das Quartier um die Kastanienallee im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg stellt dagegen ein Beispiel für einen organisch gewachsenen Kreativstandort dar. Auch unter dem Namen „Castingallee“ bekannt, gilt das Quartier als Epizentrum der Berliner Mode- und Designszene und beheimatet heute ein Viertel aller bildenden Künstler Berlins. Vor der Wiedervereinigung war der Prenzlauer Berg mit seinen unsanierten Altbauten zunächst Zufluchtsort von Künstlern, Dissidenten und subkulturellen Szenen, und die preiswerten leerstehenden Wohn- und Gewerberäume zogen nach der Wende vor allem Studenten und Künstler an. Das Quartier Kastanienallee entwickelte sich in der Folgezeit ohne gezielte öffentliche Förderung und ohne die Anziehungskraft eines großen Ankerunternehmens oder Kulturevents (wie etwa RUHR.2010) zu einem bedeutenden Standort der Kreativwirtschaft. Heute findet sich dort sowohl „alte“ (subkulturell entstandene) als auch „neue“ (ökonomisch motivierte) Kreativität. Das Quartier verfügt über eine starke symbolische Aufladung, ohne dabei bereits zu einer „Marke“ geworden zu sein, und genießt das Image eines lebenswerten Viertels mit einem vielfältigen kulturellen Angebot, einer guten infrastrukturellen Ausstattung und einem hohen Kontakt- und Inspirationspotenzial.
Sanierungen und der Aufstieg zum Szeneviertel brachten in den letzten Jahren allerdings Verteuerungen, touristischen Zulauf und den Ausbau der Konsuminfrastruktur mit sich. Infolgedessen verließen einige Kreative das Quartier. Gleichzeitig lässt sich aber auch Persistenz feststellen: viele der dort ansässigen Kreativen halten am Quartier als Wohn- und Arbeitsort trotz des Wandels fest.
Es stellt sich abschließend die Frage, inwiefern eine allein wirtschaftspolitisch motivierte Förderung von Kultur und Kreativität sinnvoll und zweckmäßig ist. Lässt sich die kommerzielle Vermarktung von Kunst und Kreativität mit dem generellen künstlerischen Anspruch auf Authentizität und Individualität vereinbaren? Oder haben unter Umständen nur natürlich gewachsene Kreativquartiere Aussichten auf Erfolg und Akzeptanz? Und sind die ökonomischen Erwartungen bei gezielter öffentlicher Förderung von Kultur und Kreativität, sprich: Generierung von Wachstum und Prosperität, in Anbetracht der vielfach prekären monetären Situation der Kreativen und der geringen Rationalisierungsmöglichkeiten im kreativen Schaffensprozess überhaupt zu rechtfertigen? Oder wird hier vielmehr eine neue Investitionsblase geschaffen? Weiterhin bleibt die Lösung sozialer Problemlagen im Quartier durch eine Förderung der Kreativwirtschaft äußerst fragwürdig. Eine räumliche Verdrängung von Missständen und Konflikten erscheint hier wahrscheinlicher. Es sollte in jedem Falle davon abgesehen werden, ein Universalkonzept, wie es Richard Florida liefert, blind, ohne Beachtung der lokalen sozialen, kulturellen und politischen Gegebenheiten, auf die Entwicklung eines Quartiers anzuwenden.
Autor*innen: KD, AH, II und MF