SeminarBlog vom 25.01.10

Neue Steuerungsformen der Stadtentwicklung

Business Improvement District (BID), Housing Improvement District (HID), Neighbourhood Improvement District (NID)

Das BID ist ein eigentümerorientiertes Konzept, bei dem sich Eigentümer und Gewerbetreibende auf freiwilliger Basis zusammenschließen, um in einem klar abgegrenzten Gebiet für eine befristete Zeit Maßnahmen zur Aufwertung aufzustellen und durch Eigenfinanzierung (Selbstbesteuerung) zu realisieren. Die Intention der Maßnahmen zielt auf die Stärkung der Einzelhändlerstruktur, die Verbesserung des städtischen und geschäftlichen Umfeldes und die Attraktivitätssteigerung und Revitalisierung von Geschäftsstraßen und Kerngebieten ab.

Nach den Erfolgen dieses Modells wird derzeit stark über eine Übertragung des Konzepts auf Wohngebiete diskutiert, den so genannten Housing Improvement Districts (HID) und den Neighbourhood Improvement Districts (NID). Bei der Übertragung müssen folgende Dinge Beachtung finden: In Wohn- und Mischgebieten herrscht eine hetegorene Akteursstruktur vor (Eigentümer, Bewohner, Vereine, Schulen, Kirchen etc.), es gibt komplexere Handlungsfelder und es kommt vor allem zur einer drastischen Gegenüberstellung der jeweiligen Interessen. Demnach treffen die ökonomischorientierten Interessen der Eigentümer auf die lebensweltlich orientierten Interessen der Bewohner (dem Allgemeinwohl). Die Hauptakteure beim HID/NID sind wie beim BID die Eigentümer. Die Maßnahmen eines HID/NID können sehr vielfältig sein und sich von der reinen baulichen Aufwertung, über Sicherheit und Pflege bis zur Vermarktung (Imagekampagnen) des Gebiets erstrecken.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieses Modell wirklich auf alle Quartiere übertragbar ist. Darüber hinaus erscheint es eher unwahrscheinlich, dass sich Eigentümer in einem eher schlecht gestellten Quartier auf freiwilliger Basis zusammenfinden, um eigenfinanzierte Aufwertungen zu betreiben? Die Durchführbarkeit dieses Modells hängt allein von der Motivation und der Eigeninitiative der Eigentümer ab. Es ist fraglich, inwieweit die Eigentümer eine Eigeninvestition in schlecht entwickelten Quartieren für sinnvoll bzw. gewinnbringend halten. Steckt man nicht lieber das Eigenkapital in ohnehin schon gut entwickelte Gebiete, um diese weiter voran zu bringen und das Risiko einer Fehlinvestition zu umgehen? Demnach würde eine Vielzahl der privaten Investitionen in ohnehin schon gut entwickelte Quartiere fließen und eine Quartiersentwicklungspolitik nach dem Motto „Making good places better“ betrieben werden. Dies hätte letztendlich zur Folge, dass Quartiere immer stärker auseinanderdriften würden.

Ein weiterer Diskussionspunkt war das Thema der Bewohnerbeteiligung und die Frage wer letztendlich für die Aufwertung des Gebietes zahlt. Da die Bewohner bei der Abstimmung über den Maßnahmenplan im Quorum der Eigentümer kein Stimmrecht besitzen, dürfen sie auch nicht zur finanziellen Beteiligung herangezogen werden. Die Bewohner ziehen im Gegensatz zu den Eigentümern keinen ökonomischen Nutzen aus der Aufwertung. Jedoch zieht eine Sanierung (Aufwertung) eines Wohngebietes meist Mietsteigerungen nach sich, die eventuell nicht für alle Mieter tragbar ist und neue Mieterstrukturen anziehen soll. Dadurch kann ein Verdrängungsprozess eingeleitet werden. Die Mieterschaft, die dort wohnen bleibt, muss schlussendlich indirekt doch für die Aufwertung aufkommen, indem sie eine höhere Miete zahlen muss. 

Positiv an diesen neuen Steuerungsformen ist allerdings das koordinierte und wechselseitige Zusammenwirken zwischen privaten Akteuren und der öffentlichen Hand. Die Kommunen verfügen derzeit meist über unzureichende Ressourcen, um eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik zu betreiben. Die Beteiligung von privaten Akteuren ist daher für die Zielumsetzung meist unumgänglich. So wird die Zusammenarbeit einer Public-Private-Partnership, wie sie auch im BID Modell zu finden ist, immer bedeutsamer. Sie beschreibt das Zusammenwirken zwischen öffentlicher Rechtssetzungsbefugnis und privater Initiative.

Neighbourhood Branding (NB)

Was ist das?! Primär versucht dieser partizipative Ansatz während des Brandingprozesses, die charakteristische Identität eines Quartiers zu entwickeln und deren Stärken in den Fokus zu rücken. Es handelt sich vor allem um einen identitätsstiftenden und –fördernden Prozess. Das Unverwechselbare bzw. die Einzigartigkeit des Quartiers soll herausgefiltert werden, um daraus langfristig eine Marke zu entwickeln. Das NB bedingt sowohl die Teilnahme als auch das Engagement relevanter Akteure (z.B. Wohnungsbaugenossenschaften, Bewohner, Grundeigentümer, Investoren), um erfolgreich zu sein.

Beispielhaft wurde am Stadtteil Hoogvliet / Rotterdam (NL) der Prozess des NB beschrieben: Als Hauptakteur tritt in dem Fallbeispiel „Hoogvliet“ die Wohnungsgesellschaft „Woonbron“ auf, deren Ziel es war diese Aufwertungsstrategie langfristig (15 Jahre) zu verfolgen. Auf lokaler Ebene wird im Rahmen des Neighbourhood Branding-Prozesses das Engagement der BewohnerInnen geweckt, um sich intensiv mit ihrem Stadtteil (und dessen Problemen) auseinander zu setzen. Beim Branding bzw. bei der Entwicklung der Marke erfolgt zuerst die Bestandsaufnahme der Situation des Quartiers (z.B. Befragen der Bewohner), gefolgt von Branding Sessions (zur Identitätsfindung) bis hin zur Festlegung der Identität (z.B. in einem Brandbook), um die Ergebnisse schlussendlich umzusetzen. Dabei geht es nicht nur um die Planung des physischen Raumes, sondern um die emotionalen Aspekte, die das Quartier betreffen (Lebensqualität, Kultur, Integration & Atmosphäre). NB ist als eine dialogorientierte Quartiersentwicklung anzusehen. Eine Umfrage bei den Bewohnern zeigte, dass ihre Unzufriedenheit eher auf das Image (dreckige Luft aufgrund Nähe zu Ölraffinerie, graue Plattenbauten) von Hoogvliet zurückzuführen ist, als auf die Wohnungen selbst. Dies zeigt, dass oftmals eklatante Unterschiede zwischen Außen- und Innenimage vorhanden sind, die durch den Brandingprozess erst deutlich werden.
Im Seminar wurde die Frage diskutiert, wie stark die partizipative Bereitschaft (v.a. der Bewohner) überhaupt sei, um ein „gemeinsames Ziel“ zu erreichen. Dieser neue Ansatz zielt u.a. stark auf die Teilnahme und das Engagement der Bewohner, jedoch ist die Bereitschaft der handelnden Akteure unterschiedlich groß. Führt der u.U. geringe Beteiligungsgrad zu einem wünschenswerten Ergebnis? Oder ist es egal, in welchem Ausmaß die Partizipation stattfindet, solang sie überhaupt vorhanden ist; nach dem Motto „besser als gar nicht“?!

„Stadtrendite“ und „CSR“: Das Beispiel der degewo

In der abschließenden Besprechung rückte mit der Wohnungsgesellschaft degewo der größte landeseigene Akteur des Berliner Wohnungsmarktes in das Zentrum der Betrachtung (71.000 Wohn- und 1.500 Gewerbeeinheiten). Das Unternehmen versucht seit 2006 durch unterschiedliche Schritte einen Imagewandel zu vollziehen und hat sich unter den Stichworten „Stadtrendite“ und „Corporate Social Responsibility“ die nachhaltige, nicht ausschließlich ertragsorientierte Stadtentwicklung zum zentralen Thema gemacht. In Anwesenheit des Vorsitzenden des Beirates des degewo-Vorstandes, Herrn Dr. Ulbricht, wurden in der Folge vor allem die Entwicklungsmaßnahmen der degewo im Stadtteil Wedding betrachtet und diskutiert. Insbesondere die gezielte Ansiedelung von jungen, kreativ wirtschaftenden Bevölkerungsschichten im Soldiner Kiez und entlang der Brunnenstraße wurde seitens des Seminarplenums kontrovers diskutiert. Entgegen der Darstellung des Unternehmens, das darin wertvolle Beiträge zur sozialen Stabilisierung der betroffenen Gebiete sieht, erkannten die Diskussionsteilnehmer in diesen Maßnahmen die Anfänge eines Verdrängungsprozesses der mittelfristig die Verringerung der Leerstandsquote und langfristig die geldwerte Aufwertung des Wohnungsbestandes zum Ziel hat – aus unternehmerischer Sicht wiederum sicherlich kein verwerfliches Ziel. Mit Hinweis auf die wirksamen Instrumente der Mietpolitik der jüngeren Vergangenheit (Milieuschutz, Mietobergrenzen) wurde mehrfach die Forderung laut, dass es letztlich die Politik sein müsse, die bei der Behandlung dieses Problemfeldes voranschreiten müsse. So wurde durch Seminarteilnehmer die Position vertreten, den sozialen Versorgungsauftrag der öffentlichen Wohnungsgesellschaften stärker zu betonen und konkret den Verzicht auf Teile der Gewinne dieser Unternehmen anzustreben.

Über das Thema Stadtrendite/degewo kann man sich hier informieren: http://www.degewo.de/dms/Downloads/Unternehmen/Sonstige/degewo_Stadtrendite_081111/degewo_Stadtrendite_www_081111.pdf

Autor*innen: WW, RB und PK